Nicht-binär/non-binär

Zweigeschlechtlichkeit oder Binarität bedeutet, dass es in vielen Gesellschaften nur zwei Geschlechter gibt oder geben soll: Frau und Mann. Man begründet das damit, dass es biologisch nur zwei verschiedene Körper geben würde – einen weiblichen und einen männlichen Körper – und dass man aufgrund des Körpers, den man von Geburt aus hat, dann entweder eine Frau oder ein Mann ist. Wenn eine Person non-binär oder nicht-binär ist, dann kann man deren Geschlechtsidentität nicht in diese Zweigeschlechtlichkeit einordnen. Der Mensch ist dann weder eindeutig Mann noch eindeutig Frau. Oder die Person ist dann sowohl Mann als auch Frau. Non-binäre oder nicht-binäre Personen gibt es schon immer. Früher hießen sie z.B. Butches, Queens usw. Auch trans* und inter Personen können nicht-binär sein. Da die Norm der Zweigeschlechtlichkeit in vielen Gesellschaften aber sehr stark ist, werden nicht-binäre Personen sehr oft diskriminiert.

Der Begriff non-binär oder nicht-binär ist aus dem Englischen „non-binary“ abgeleitet und steht für ein Spektrum von Geschlechtsidentitäten jenseits der Kategorien Mann/Frau. ‚Binär‘ (deutsch: „doppelt“, „paarweise“, „zweigeteilt“) bezieht sich in diesem Kontext folglich auf die Norm der Zweigeschlechtlichkeit. Menschen, deren Geschlechtsidentität sich innerhalb dieser Zweiteilung als männlich oder weiblich bewegt, hätten somit eine ‚binäre‘ Identität. Menschen, die sich nicht als Männer oder Frauen fühlen, wären dann ‚nicht-binär‘. Dabei darf nicht übersehen werden, dass es schon lange vor dem Begriff ‚nicht-binär‘ Personen gab, die ein Leben außerhalb der Mann/Frau-Dichotomie geführt haben wie Butches, Queens, Tunten, viele Transfrauen/Transmänner, viele Drag Queens und Drag Kings, oder viele intergeschlechtliche Personen. Auch Begriffe wie genderqueer, gender fluid, gender bender usw. sind allesamt Selbstbeschreibungen, die Räume für Identitäten oder Lebensweisen jenseits der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit eröffneten. So kann man unterscheiden zwischen der Frage, wie stabil oder dynamisch eine Geschlechtsidentität ist (immer gleich <-> je nach Situation anders) oder wo sich jemand auf einer imaginären Linie zwischen den Polen männlich/weiblich befindet bzw. bewegt (ausschließlich m/w, eher m/w, m und w gleichzeitig, in der Mitte, geschlechtslos). Dabei ist zu beachten, dass in queeren Communitys schon seit längerer Zeit mehr Geschlechter als zwei Geschlechter gelebt werden und somit auch das Empfinden, mehr als einem Geschlecht zuzugehören bzw. das Fluktuieren zwischen verschiedenen Geschlechtern, sich nicht immer auf männlich/weiblich beziehen muss. So verorteten sich Personen in meiner eigenen Studie z.B. als ‚fag dyke‘ (übersetzbar mit: „tuntiger Lesbe“), ‚transgender butch‘ (was einen Ort zwischen Lesben mit maskulinem Geschlechtsausdruck und Transmännern bezeichnete) oder als ‚genderqueer‘ in der Hinsicht, dass ihre Geschlechtsidentität situationsbedingt fluktuierte.

Menschen mit genderqueeren oder nicht-binären Identitäten sind in zweigeschlechtlichen Gesellschaften mit zahlreichen alltäglichen Problemen konfrontiert, von der Frage welche öffentliche Toilette zu benutzen ist bis zur Frage der Pronomen, Anrede usw. Neu ist, dass diese nicht-binären Lebensweisen eine größere (und nicht rein abwertende) Sichtbarkeit in der breiten Öffentlichkeit erfahren und sich langsam neue Umgangsformen entwickeln wie geschlechtsneutrale Toiletten, Räume für Mädchen*, geschlechtsneutrale Pronomen/Anrede usw. Auch die trans-spezifische Gesundheitsversorgung ändert sich dahingehend, dass es auch für nicht-binäre Personen möglich wird, den Körper im Rahmen einer medizinischen Transition zu verändern. Neu ist auch, dass mit ‚nicht-binär‘ ein Begriff etabliert wurde, der sowohl von Personen, die (früher) dem trans* Spektrum zugeordnet wurden als auch Personen, die intergeschlechtlich sind, verwendet wird. Zwar wurde dies z.B. von dem*der trans* Aktivist*in Leslie Feinberg auch bereits mit dem Betriff ‚Transgender‘ als Dachbegriff vorgeschlagen, der alle vereinen sollte, die die Norm der Zweigeschlechtlichkeit bekämpfen wollten. Jedoch erscheint der Begriff ‚nonbinary‘ neutraler, weil er nicht das ‚trans‘ im Titel hat und somit inter Positionen weniger an den Rand drängt. Gleichzeitig birgt der momentane Trend, trans* Personen in ‚binäre‘ und ‚nicht-binäre‘ Personen anhand der Identität zu unterscheiden, auch die Gefahr, die trans* Community zu spalten bzw. das Verständnis, was es bedeutet, jenseits der Zweigeschlechtlichkeit zu leben, zu verkürzen. Denn die aktuelle Diskussion zum Begriff ‚nicht-binär‘ bezieht sich interessanterweise lediglich auf die Ebene der Identität. Nicht thematisiert bleibt zumeist die körperliche Ebene. Gerade viele vermeintlich binäre trans* Personen, die z.B. aufgrund von medizinischer Transition im Alltag eindeutig als Männer oder Frauen ‚durchgehen‘, leben tagtäglich und dauerhaft in einem nicht-binären Körper, unabhängig davon, ob sie sich eher als binär oder nicht-binär verstehen.

Zu nicht-binären Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen weiß man bisher so gut wie gar nichts, was u.a. daran liegt, dass man ihnen aufgrund von Ableism oder Sanism vermutlich gar nicht zugesteht, eine eigene Identität zu entwickeln. Vielmehr wird ein nicht geschlechterstereotypes Verhalten eher als ‚behinderungsbedingte Abweichung‘ von der Norm gesehen, anstatt dies als Ausdruck einer genderqueeren oder nicht-binären Identität ernst zu nehmen. Jedoch haben Menschen mit Behinderungen das Recht, ihre eigene Identität, Cis oder trans*, binär oder nicht-binär, zu leben.


Literatur

  • Barker, JohnMeg (2016): Nonbinary Genders. In: Goldberg, Abbie E. (Hrsg.): The SAGE encyclopedia of LGBTQ studies. Thousand Oaks: Sage, S. 817-820. http://dx.doi.org/10.4135/9781483371283.n285.
  • Bauer, Robin (2014): Queer BDSM Intimacies. Critical Consent and Pushing Boundaries. Houndsmill: Palgrave.
  • Feinberg, Leslie (1998): Trans liberation. Beyond pink or blue. Boston: Beacon Press.
  • Nestle, Joan/Howell, Clare/Wilchins, Riki (Hrsg.) (2002): Genderqueer: Voices from beyond the sexual binary. Los Angeles, CA: Alyson Books.
  • Schirmer, Uta(n) (2010): Geschlecht anders gestalten. Drag Kinging, geschlechtliche Selbstverhältnisse und Wirklichkeiten. Bielefeld: transcript.