Heterosexuell

Heterosexuell bedeutet, wenn man sich zum anderen Geschlecht hingezogen fühlt oder verliebt ist, also wenn ein Mann eine Frau begehrt und wenn eine Frau einen Mann begehrt. Heterosexualität gilt in den meisten Ländern und Kulturen als normal (siehe Heteronormativität). Das ändert sich gerade, weil auch nicht-heterosexuelle Menschen die gleichen Rechte einfordern.  

Heterosexuell ist ein Begriff für eine sexuelle Orientierung, der vom Wortsinn her Menschen bezeichnet, die ein anderes Geschlecht als das eigene begehren/lieben, also z.B. Frauen, die sich sexuell zu Männern hingezogen fühlen oder Männer, die Frauen begehren. Man spricht auch von gegengeschlechtlichem Begehren/gegengeschlechtlicher Liebe. Die Wortschöpfung „Heterosexualität“ wird dem frühen Sexualreformer Karl Maria Kertbeny, zugeschrieben, der die Begriffe „hetero-„ und „homosexuell“ 1868 in einem Brief an den Sexualwissenschaftler und Sexualreformer Karl Heinrich Ulrichs verwendete.

In der frühen Sexualwissenschaft des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff in Abgrenzung zunächst nicht für das statistisch vorherrschende gegengeschlechtliche Begehren verwendet, sondern um „perverse“ Sexualpraktiken zwischen Männern und Frauen zu beschreiben. Der einflussreiche Sexualwissenschaftler Richard Krafft-Ebing z.B. definierte heterosexuelle Praktiken als solche, die nicht der Fortpflanzung dienten und damit gegen die herrschende Norm der Reinheit und die damals vorherrschende Sexualmoral verstießen. (Erst Freud definierte Heterosexualität als Endziel einer erfolgreichen Entwicklung zu sexueller Reife und somit als „normal“.) Auch entwickelte Krafft-Ebing die Vorstellung von heterosexuellem Begehren als gegengeschlechtlich, in dem er Männer als aktiv und Frauen als passiv als zwei gegensätzliche Pole verstand. Die Rede von gegengeschlechtlichem Begehren/Liebe setzt seitdem implizit voraus, dass es nur zwei Geschlechter gibt und diese stereotyp gegensätzlich sind. Heterosexualität wurde und wird häufig als eine Form der Anziehung verstanden, bei der sich Gegensätze anziehen und idealtypisch ergänzen. So sind Geschlechterstereotypen eng mit Heterosexualität als Norm verbunden. Die Gegensätzlichkeit der Geschlechter und deren Überwindung in der heterosexuellen Vereinigung im Rahmen der Liebesbeziehung/Ehe galt zudem in rassistischen/kolonialistischen Diskursen als Zeichen der Überlegenheit der „weißen Kultur“.

In einer traditionell heteronormativen Kultur (wie bspw. in Deutschland oder Europa) gilt eine heterosexuelle Orientierung bzw. eine heterosexuelle Lebensweise als normal, gesund, moralisch einwandfrei und wurde lange auch rechtlich und strukturell privilegiert. Heterosexualität als sexuelle Orientierung eines Menschen kann jedoch nicht mit Heteronormativität gleichgesetzt werden. Denn bei Heteronormativität handelt es sich um eine grundlegende Gesellschaftsstruktur und Denkweise, mit der alle Menschen sozialisiert wurden. Außerdem ist die Unterteilung in hetero/homo/bisexuell zwar zentral, aber es gibt erstens auch andere sexuelle Normen wie die Monogamie, sodass nicht alle heterosexuellen Menschen auch normkonform leben. Zweitens gibt es innerhalb der Kategorie „heterosexuell“ alle möglichen Praktiken, die teilweise selbst nicht heteronormativen Vorstellungen entsprechen, z.B. wenn ein Mann eine passive Rolle einnimmt oder wenn die Frau in der Beziehung deutlich älter oder körperlich größer ist. Drittens haben andere Kategorien sozialer Ungleichheit wie Behinderung einen Einfluss darauf, wie Heterosexualität wahrgenommen wird, z.B. wenn Menschen mit Behinderung als „asexuell“ gesehen werden.

Während Heterosexualität also auf der einen Seite eine privilegierte Form der sexuellen Orientierung darstellt, verschleiert die Heteronormativität gleichzeitig, wie vielfältig heterosexuelle Praktiken, Beziehungen und Lebensweisen eigentlich sind oder sein können.


Literatur

  • Abed, Emma u.a. (2019): Sexual and Gender Diversity Among Sexual and Gender/Sex Majorities: Insights via Sexual Configurations Theory. In: Archives of Sexual Behavior, 48. Jg., S. 1423-1441.
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  • Katz, Jonathan Ned (1996): The Invention of Heterosexuality. New York u.a.: Plum.
  • Lewandowski, Sven (2015): Das Geschlecht der Heterosexualität oder: Wie heterosexuell ist die Heterosexualität? In: Lewandowski, Sven/Koppetsch, Cornelia (Hrsg.): Sexuelle Vielfalt und die UnOrdnung der Geschlechter. Bielefeld: transcript, S. 151-184.
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  • Wilkinson, Sue/Kitzinger, Celia (1994): The Social Construction of Heterosexuality. In: Journal of Gender Studies, 3. Jg., H. 3, S. 307-316.
  • Wilkinson, Sue/Kitzinger, Celia (Hrsg.) (1993): Heterosexuality: A Feminism & Psychology Reader. London: Sage.