Disability Mainstreaming

Disability Mainstreaming ist Englisch und besteht aus zwei Begriffen. Disability heißt Behinderung. Mainstreaming heißt, dass man etwas normaler werden lässt. Disability Mainstreaming bedeutet, dass man mit Gesetzen, Aktionen und Maßnahmen versucht, Menschen mit Behinderung nicht mehr unnormal zu sehen. Sie sollen wie alle anderen auch zum ganz normalen gesellschaftlichen Leben dazugehören.

Disability Mainstreaming zielt darauf ab, „die Belange von Menschen mit Behinderung von einer bis dato marginalisierten gesellschaftlichen Perspektive in eine allgemeine gesellschaftliche Angelegenheit zu überführen.“ (Behrich 2013). Disability Mainstreaming orientiert sich dabei stark an dem Begriff „Gender Mainstreaming“, da es gleichermaßen um Erfahrungen von Benachteiligung und Diskriminierung geht. Mit anderen Worten: Das Thema Behinderung soll, wie auch das Thema Geschlechtergerechtigkeit, als gesellschaftliche Querschnittsaufgabe anerkannt werden und bei sämtlichen Vorhaben (etwa politische Programme, Gesetzgebung, Stadtplanung, usw.) immer gleich mitgedacht werden. Ähnlich wie „Gender Mainstreaming“ soll eine stärkere Berücksichtigung von Behinderung in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen (z.B. Politik, Wirtschaft, Bildungswesen, Wissenschaft) verankert werden. Dabei geht es – wiederum ähnlich wie bei Gender Mainstreaming – stets um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in verschiedenen gesellschaftlichen Handlungsfeldern.

Der Begriff „Disability Mainstreaming“ ist in den Themenbereichen Behindertenhilfe und Inklusion eher unbekannt und auch in der bundesdeutschen Fachdiskussion weniger gebräuchlich. Behrich (2013) betrachtet Disability Mainstreaming als einen Teilbereich von Diversity Management, verweist aber in diesem Zusammenhang darauf, dass innerhalb von Diversity Management die Kategorie Behinderung in der „Konkurrenz“ zu anderen Vielfaltskategorien häufig etwas „untergeht“ bzw. zu wenig beachtet wird. Als Grund dafür wird vor allem genannt, dass Behinderung im Gegensatz zu anderen Vielfaltskategorien (z.B. Migrationshintergrund) nicht als Ressource begriffen wird. Grüber 2007 fordert deswegen, dass Diversity Mainstreaming lediglich eine Ergänzung und kein Ersatz für Disability Mainstreaming sein sollte.

Wie auch bei dem Thema Gender basiert Disability Mainstreaming auf einer sozialkonstruktivistischen Interpretation. Demnach ist Behinderung „kein natürliches Faktum, sondern Resultat gesellschaftlichen Handelns. In diesem Sinne wird Behinderung gesellschaftlich ‚konstruiert‘“ (Bielefeldt 2009, S. 8). Im Gegensatz zum medizinischen Modell von Behinderung, welches die Defizite der Person ins Zentrum der Betrachtung rückt (z.B. sogenannte Funktionsbeeinträchtigungen), geht das soziale Modell von Behinderung davon aus, dass sich Behinderung erst in der Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Barrieren und Ausgrenzungsprozessen manifestiert. Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert. Die Aufgabe von Disability Mainstreaming ist es daher, die Perspektive und Anliegen von Menschen mit Unterstützungsbedarf und „Behinderungserfahrungen“ in allen gesellschaftlichen Bereichen mitzudenken und entsprechende Forderungen zur Barrierefreiheit und Verbesserung gesellschaftlicher Teilhabe umzusetzen.

Disability Mainstreaming ist als Begriff nur in der englischsprachigen Fassung der UN-Behindertenrechtskonvention enthalten (United Nations 2006). Dort wird die Wichtigkeit von „mainstreaming disability“ als elementarer Bestandteil einer nachhaltigen Strategie hervorgehoben. In der deutschen Übersetzung wird lediglich betont, „wie wichtig es ist, die Behinderungsthematik zu einem festen Bestandteil der einschlägigen Strategien der nachhaltigen Entwicklung zu machen“ (Präambel, UN-BRK). Im politischen Diskurs in Deutschland ist hier vor allem der sogenannte Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention relevant, weil Disability Mainstreaming hierin explizit verankert ist: „Darin hat sich die Bundesregierung u. a. verpflichtet, die besonderen Belange von Menschen mit Behinderungen von Anfang an bei allen politischen Vorhaben und Gesetzesinitiativen zu beachten (disability mainstreaming)“ (BMAS 2018, S. 21f.).

Disability Mainstreaming ist ein hochkomplexes Vorhaben, das die zentrale Bedeutung einer intersektionalen Perspektive verdeutlicht. So verweist Grüber (2007) auf eine äußerst große Heterogenität der Gruppe von Menschen mit Behinderung. Diese gehören „verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen an und haben deshalb verschiedene Identitäten“. Als Beispiel wird genannt, dass Männer mit Behinderung ganz andere Anliegen und Themen haben können als Frauen mit Behinderung. Weitere Beispiele sind die unterschiedliche Einkommenssituation, sexuelle Orientierung, familiäre Situation oder Migrationshintergrund.

In der Kinder- und Jugendarbeit hat Disability Mainstreaming vor allem deswegen eine zentrale Bedeutung, weil Partizipation ein Kernprinzip dieses Handlungsfelds darstellt. Aus diesem Grunde sollten auch die Belange und Anliegen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung mehr Beachtung finden und entsprechende Beteiligungsmöglichkeiten konzeptionell verankert werden. Wie oben bereits beschrieben, ist die Personengruppe Menschen mit Behinderung allerdings äußerst heterogen, was die praktische Umsetzung von Beteiligungsprozessen, z.B. aufgrund unterschiedlicher Interessen, erschweren kann. Am Beispiel von Barrierefreiheit sei dies verdeutlicht: So ist es beispielweise für ein Kind, das im Rollstuhl sitzt, essentiell, wenn räumliche Barrieren abgebaut werden. Hingegen können solche räumlichen Barrieren ein sinnvoller Orientierungspunkt für Kinder/Jugendliche mit Sehbehinderung sein. Unabhängig davon gilt es, Disability Mainstreaming konzeptionell in der Kinder- und Jugendarbeit zu verankern und entsprechende Beteiligungsformen zu entwickeln. Dabei ist es sinnvoll, Kinder/Jugendliche mit Behinderung bereits von Anfang an einzubeziehen, um mit ihnen gemeinsam Lösungen zu finden.


Literatur

  • Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (2008): Die UN-Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte.
    Online unter www.institut-fuer-menschenrechte.de/…, Stand: 11.01.2022
  • Behrisch, Birgit (2013): Diability Mainstreaming. In: Gender Glossar / Gender Glossary.
    Online unter gender-glossar.de/…, Stand: 11.01.2022
  • Bielefeldt, Heiner (2009): Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte.
    Online unter www.institut-fuer-menschenrechte.de/…, Stand: 11.01.2022
  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2018): Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Bonn.
    Online unter www.einfach-teilhaben.de/…, Stand: 11.01.2022
  • Grüber, Katrin (2007): „Disability Mainstreaming“ als Gesellschaftskonzept. Annäherungen an einen viel versprechenden Begriff. Berlin: Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft.
    Online unter www.imew.de/…, Stand: 11.01.2022
  • United Nations (2006): Convention on the Rights of Persons with Disabilities and Optional Protocol. New York 2007.
    Online unter www.un.org/…, Stand: 11.01.2022