Assistenz

Assistenz heißt, man bekommt Unterstützung von einem Menschen bei Dingen, die man nicht selbst machen kann. Mit der Assistenz kann man so eigenständig wie möglich leben. Eine Assistenz bekommt man, wenn man laut Gesetz ein Recht darauf hat. Um eine Assistenz zu bekommen, wendet man sich an die Eingliederungshilfe. Es gibt Assistenz für den Alltag, für die Freizeit, für die Schule, für den Beruf, oder für den Haushalt.

Assistenz ist eine Form der persönlichen Unterstützung, die i.d.R. von vorab definierten Personen erbracht wird. Dies können Tätigkeiten sein, die von der assistenzbedürftigen Person nicht selbst erbracht werden können, aber auch Kommunikations- und Mobilitätshilfen. Assistenz kann als „Beistand“, „Mithilfe“ oder „zur Hand gehen“ übersetzt werden. Wichtig ist, dass diese Hilfe auf Anweisung der assistenzbedürftigen Person geschieht (vgl. Weber 2002).

Der Begriff Assistenz ist ein Kernbegriff im Kontext der Frage, wie Unterstützung von Menschen mit Unterstützungsbedarf (z.B. Behinderung) organisiert und finanziert werden kann. Zur Umsetzung von Inklusion kommt einer geeigneten Assistenz mitunter eine zentrale Bedeutung zu. Bei Menschen mit Behinderung sind Assistenzleistungen Teil der sogenannten Eingliederungshilfe, d.h. bei Vorliegen entsprechender Anspruchsberechtigung können diese bei einem der zahlreichen Rehabilitationsträger beantragt werden. Im Falle einer Bewilligung steht dann dem Menschen mit Unterstützungsbedarf eine Assistenz zu Verfügung, etwa zur Unterstützung im Haushalt, bei der Arbeit, in der Schule oder in der Freizeit. Entsprechend lassen sich verschiedene Formen von Assistenz unterscheiden, etwa die Assistenz im Bereich Wohnen, Arbeitsassistenz, Schulassistenz oder Freizeitassistenz.

Assistenzleistungen sind ein wesentliches Instrument bei der Planung und Umsetzung von Unterstützung für Menschen mit Behinderung. Diese hängen stark mit dem sogenannten Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe zusammen, weil sie anders als institutionelle Unterstützung (d.h. die Unterstützung in Einrichtungen) zu mehr Selbstbestimmung und sozialer Teilhabe der betroffenen Personen beitragen. Einen entscheidenden Niederschlag in den fachlichen Debatten fand dieser Paradigmenwechsel in der treffenden Formulierung: „Vom Betreuer zum Begleiter“ (Hähner u.a. ([1997] 2016). Je nach Art und Gestaltung der Assistenzleistung können die Assistenznehmenden selbst darüber entscheiden, wie die Unterstützung aussieht, wann und wo sie erbracht wird, oder sogar, wer diese wahrnimmt. Im sogenannten Arbeitgeber-Modell im Rahmen des Persönlichen Budgets können Assistent*innen sogar direkt bei der zu unterstützenden Person angestellt sein, was zu erheblichen Selbstbestimmungspotenzialen beiträgt (vgl. Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband 2009, S. 16; Meyer 2010).

In der sogenannten UN-Behindertenrechtskonvention wird in Artikel 19 (Unabhängige Lebensführung und Einbezug in die Gesellschaft) die Bedeutung von Assistenz „zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft“ explizit herausgestellt. In Deutschland spielen Assistenzleistungen insbesondere im neuen Bundesteilhabegesetz (BTHG) eine zentrale Rolle, da diese im Sinne der zentralen Paradigmen des BTHG personenzentriert ausgestaltet sind und zur Förderung von Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe beitragen können. Als Rechtsgrundlage im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) dient hierzu §78 Absatz 1: „Zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung werden Leistungen für Assistenz erbracht.“ Es werden dann eine Reihe an Bereichen genannt, in denen eine solche Assistenz erfolgen kann (z.B. Haushaltsführung). Für die Kinder- und Jugendarbeit relevant ist, dass Assistenz auch zur „Gestaltung sozialer Beziehungen“, zur „persönlichen Lebensplanung“, sowie für die  „Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten (…)“ gewährt werden kann.

Das Gesetz unterscheidet ferner zwischen „qualifizierter Assistenz und „semi“- oder „nicht qualifizierter Assistenz“, etwa im Bereich Freizeit oder bei der Ausübung eines Ehrenamts. Qualifizierte Assistenz bedeutet in der Regel, dass die Assistenz von einer fachlich qualifizierten Person erbracht wird, semi- oder unqualifizierte Assistenz kann auch von Laienkräften wahrgenommen werden. So kann beispielsweise auch eine Assistenz für einen Menschen mit Behinderung, der ehrenamtlich tätig werden möchte, finanziert werden. Der*die Assistent*in muss in diesem Fall nicht qualifiziert sein. Die Assistenz zur Wahrnehmung eines Ehrenamts ist natürlich von besonderer Bedeutung für Handlungsfelder der Kinder- und Jugendarbeit, da hierdurch ehrenamtliche Tätigkeiten von Kindern/Jugendlichen mit Behinderung gefördert und unterstützt werden können. Nach §78 SGB IX Absatz 5 können Menschen mit Behinderung, die ehrenamtlich tätig werden wollen, „angemessene Aufwendungen für eine notwendige Unterstützung“ finanziert bekommen. Diese Unterstützung soll dann „vorrangig im Rahmen familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher oder ähnlich persönlicher Beziehungen erbracht werden.“ Ferner ist auch eine Finanzierung von „notwendigen Fahrkosten“ (§78 SGB IX Absatz 5) möglich.

In der Lebensphase Kindheit und Jugend spielen Assistenzleistungen vor allem in der Freizeit (z.B. zur Wahrnehmung von Freizeit- und Sportangeboten, Teilnahme an Ferienfreizeiten) sowie im Bildungswesen (Schulassistenz bzw. Schulbegleitung) eine zentrale Rolle. Die Nutzung von Assistenz durch Erwachsene ist hierbei durchaus umstritten. Zum einen ist eine Assistenz zwar nötig, um beispielsweise die benötigte Unterstützung sichern und Kinder/Jugendliche in der Freizeit oder im Schulalltag entsprechend begleiten zu können. Zum anderen kann eine solche (erwachsene) Assistenz aber auch die soziale Integration in die Gruppe Gleichaltriger hemmen oder negativ beeinflussen. In nationalen und internationalen Studien zu Schulbegleitung/Schulassistenz wurde beispielsweise festgestellt, dass Kinder mit einer Assistenzkraft stets auch eine Art „Sonderstellung“ einnehmen. Damit fördert eine solche Assistenzkraft auch „soziale Ausgrenzung und übermäßige Abhängigkeit der Schüler und Schülerinnen von ihren Assistenzkräften“ (Deger u.a. 2015, S. 53). Dass sich diese Ergebnisse auch auf den Bereich der außerschulischen Bildung bzw. Kinder- und Jugendarbeit übertragen lassen, ist naheliegend. Daher ist bei der Planung und Gestaltung einer Assistenz immer auch darauf zu achten, dass diese nicht zu sehr zu einer „Sonderstellung“ der Kinder/Jugendlichen beiträgt. Ferner sollte die Assistenzkraft darauf achten, dass soziale Interaktionen zu Gleichaltrigen gefördert werden.

Assistenzleistungen haben eine besondere Bedeutung zur Finanzierung und Sicherung von Unterstützung und damit zur Umsetzung von Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit. Dies gilt in zweierlei Hinsicht: Erstens kann damit die Nutzbarkeit von Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit in Form einer benötigten Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung ermöglicht werden. Zweitens können Assistenzleistungen aber auch dafür genutzt werden, Menschen mit Behinderung selbst im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit entweder als Ehrenamtliche oder auch als professionelle Fachkräfte zu beschäftigen (z.B. Arbeitsassistenz). Assistenzleistungen müssen jedoch in jedem Fall durch den/die Leistungsberechtigten beantragt werden. Im Falle von Minderjährigen muss dies durch die Eltern bzw. Sorgeberechtigten vorgenommen werden.


Literatur

  • Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (2008): Die UN-Behindertenrechtskonvention Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin.
    Online unter www.institut-fuer-menschenrechte.de/…, Stand: 10.01.2022
  • Deger, Petra/Jerg, Jo/Puh. Kirsten (2015): Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung in allgemeinen Einrichtungen der Kindertagesbetreuung und Schulen. Eine Untersuchung zur Praxis der Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Baden-Württemberg unter Einbeziehung der strukturellen Rahmenbedingungen von Inklusion Abschlussbericht. Stuttgart: KVJS.
  • Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e. V. (Hrsg.) (2009): Übergänge gestalten, individuelle Lösungen finden... Das Persönliche Budget für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Berlin: Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e. V.
  • Hähner, Ulrich/Niehoff, Ulrich/Sack, Rudi/Walther, Helmut (Hrsg.) (1997): Vom Betreuer zum Begleiter. Eine Neuorientierung unter dem Paradigma der Selbstbestimmung Marburg: Lebenshilfe-Verlag.
  • Hähner, Ulrich/ Niehoff, Ulrich/ Sack, Rudi/ Walther Helmut (2016): Vom Betreuer zum Begleiter. Eine Handreichung zur Leitidee der Selbstbestimmung. Marburg: Lebenshilfe-Verlag, 9. Auflage.
  • Meyer, Thomas (2010): Wem und was „nutzt“ das Persönliche Budget? In: Forum Sozialarbeit + Gesundheit 3/2010, S. 38-42.
  • Weber, Erik (2002): Persönliche Assistenz - Assistierende Begleitung. Veränderungsanforderungen für professionelle Betreuung und für Einrichtungen der Behindertenhilfe. Herausgegeben von der Deutschen Heilpädagogischen Gesellschaft e.V. (DHG). DHG-Schriften 8. Köln: Eigenverlag DHB.
    Online unter dhg-kontakt.de/…, Stand: 17.01.2022